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09/06/2004: "was auch immer: mit dir."


JOY DENALANE, SÄNGERIN

Seit jenem Sommer vor fünf Jahren trägt Joy Denalane, 31, einen vergilbten Fotostreifen mit sich herum. Behutsam zieht sie ihn aus ihrem Portemonnaie, legt ihn vor sich auf den Tisch in einem Berliner Café. Es ist August 2004, das Kindermädchen übernimmt für zwei Stunden. Zeit, durch die Vergangenheit zu tauchen, zu erinnern, wie sie damals begann, ›› die schöne Geschichte von Joy und Max.

Vier schwarz-weiße Fotos aus dem Passbildautomaten, ein Paar mit dunklen Locken kuschelt sich vor die Linse, er dicht hinter ihr, beide lächeln wie verstrahlt vor Glück. "Es war noch nichts passiert", sagt Joy, "nur ein erster Kuss." Dennoch glaubte sie schon damals, ihn zu kennen: "Er ist der Richtige."

Joy Denalane wusste es seit jenem Tag, als Max Herre seinen dunkelblauen Saab 900, den sie später zu Schrott fahren sollte, im absoluten Halteverbot parkte. Joy wartete in der Bar eines Hotels in Stuttgarts Fußgängerzone und beobachtete ihn vom Fenster aus. Es war ein stürmisches Kennenlernen, geplant als ein Treffen ohne Folgen: Sie hatte einen Freund; wie es schien, war Max nur an ihrer Stimme interessiert. Ein Arbeitstreffen: Max hatte einen Song geschrieben, ein Duett in deutscher Sprache. "Mit Dir" sollte es heißen und von beginnender Liebe handeln.

Joy, damals 25 Jahre alt und seit sechs Jahren Sängerin, war auf der Suche nach einer eigenen Stimme. Sie wollte "raus aus der Euro-Trash- und Total-Pop-Schiene", in die sie ihr erster Plattenvertrag gezwungen hatte. Sie wollte endlich auf offene Ohren stoßen, jenseits von Berlin, wo sie Einzelkämpferin war, die Konkurrenz hart und das Angebot überreichlich. Die Richtung war klar, Joy wollte Soulmusik machen. Stattdessen tingelte sie durch die deutsche Musikprovinz. Sie kannte Max, den Rapper der Stuttgarter Hip-Hop-Crew Freundeskreis, aus seinen Videos im Fernsehen, seine Songs "Anna" und "Tabula rasa". Max Herre war damals schon ein Star.

Im Hotel begrüßte er sie mit Küssen, einen auf jede Wange. Er verwirrte sie, er wirkte bescheidener, als sie erwartet hatte, und er sah noch besser aus. Joy, die mit zwei älteren Brüdern in Kreuzberg aufgewachsen ist, die Schwarze mit der Berliner Schnauze, die sich früher oft prügeln musste, weil man ihr "Entenarsch" hinterhergerufen hatte und "Negerin", überspielte ihre plötzlich einsetzende Verlegenheit mit Unnahbarkeit.

In ihrem Kopf aber, sagt Joy, schwirrten schon damals diese Sätze: "Er weiß, wer ich bin, ich weiß, wer er ist; ich kann ihm helfen, er kann mir helfen; ich will und ich werde mit ihm Kinder haben - er ist mein Mann, und ich bin seine Frau." Noch heute spricht Joy diese Sätze wie den Refrain einer ihrer Songs - mit Rhythmus, Pathos und mit glänzenden Augen.

Wenige Tage später sang Joy "Mit Dir" im Studio ein. Es war, als hätte Max das Lied für sie geschrieben. "Max ist ein guter Texter", sagt Joy, "er beschreibt Gefühle, dass du denkst, sie müssen echt sein." Sie waren echt, sie küssten sich zum ersten Mal. Es war wie ein stummes Übereinkommen, es musste reichen.
Am nächsten Morgen fuhr Joy zurück nach Berlin. Sie trennte sich von ihrem Freund -sie hatte sich verliebt, wie nie zuvor. Im Stundentakt schickte sie Max Kurzmitteilungen, ihre Handy-Rechnung in jenem Monat betrug über tausend Mark. Dann stand Max vor ihrer Tür in Berlin.

Von nun an sahen sie sich jeden Tag, Joy zog nach Stuttgart und zwei Jahre im Tourbus mit Freundeskreis durch Deutschland. Den Fotostreifen zeigten sie sich einander gelegentlich, das öffentliche Manifest ihrer Liebe aber lief jetzt auf allen Musikkanälen: In weißen und schwarzen Wallegewändern tanzte Joy mit Max zu "Mit Dir" vor der weiß getünchten Kulisse einer griechischen Insel. Neun Monate nach ihrem ersten Treffen war Joy schwanger.

Ihre Liebe war in Erfüllung gegangen, unerwartet, plötzlich und trotzdem einem geheimen Plan folgend. Das nächste Plansoll war wieder: Musik.

Joy, deren Zuhause Deutschland ist, Berliner Currywurst, die "Sandmännchen"-Melodie, begab sich auf Spurensuche in Südafrika, der Heimat ihres Vaters. 1960 war der Student der Zahntechnik nach Heidelberg gekommen, hatte dort Joys deutsche Mutter geheiratet und mit ihr sechs Kinder großgezogen. Längst reichten Joy seine Antworten auf ihre Fragen nicht mehr.

Von Max, sagt Joy, habe sie gelernt, nach dem fremden Teil ihrer Herkunft zu forschen; er war es auch, der ihre Lust auf Musik aus Afrika, auf Township-Jazz, traditionelle Chorgesänge, bestärkt hatte. Vier Wochen lang lebte sie mit den Denalanes in Johannesburg. Apartheid, Polizeigewalt, die Aufstände in den Townships: Wie war das damals für euch?, fragte Joy. Wie lebt ihr mit der Seuche Aids?

Max begleitete Joy, er war "der erste Mann, den meine Herkunft interessierte, der meine Neugier und Zerrissenheit verstehen wollte". Er war ihr Beistand und "musikalischer Mentor". Für ihre Tanten war er Joys Bruder mit den schwarzen Locken, sie wollten nicht glauben, dass er ein Weißer ist. Als sie erfuhren, dass Joy ein Kind von ihm erwartete, war er der Mann, der drohte, die Nichte zu entehren. Weil er noch nicht um ihre Hand angehalten und "labola", Mitgift, bezahlt hatte.

Die dritte Phase im Plan von Joy und Max begann nach der Geburt von Sohn Isaiah. Gemeinsam arbeiteten sie an Joys erstem Album "Mamani". Zwei Jahre lang brachte Max Joys Texte über das "Ghetto von Soweto", über Rassismus, die Verlogenheit der Musikbranche, Trennungsschmerz ("Geh jetzt") auf den Punkt, feilte, strich, mischte neu - stets getrieben von den Zweifeln, seinen Ansprüchen als Musiker und Produzent nicht zu genügen.
Joy, die ungeduldiger ist und schneller zufrieden, glaubt, dass "Mamani", 2002 veröffentlicht, ohne Max eher fertig geworden wäre - aber lange nicht so gut. "Max ist Perfektionist, er kann nichts aus der Hand geben", sagtJoy, "musikalisch bin ich von ihm abhängig, nicht er von mir."

Joys Familienalbum sollte den Beweis liefern, dass deutschsprachiger Soul nicht peinlich ist, sondern sexy, reif und ehrlich. Es war ein gigantischer Erfolg, er brachte ihr drei Echo-Nominierungen und mehr als 130000 verkaufte Alben. Es war Joys Erfolg, Max blieb im Hintergrund. Während sie tourte, versorgte er in der neuen Wohnung in Berlin-Charlottenburg Jamil, ihren zweiten Sohn.

Die jetztige Phase im Leben von Joy läuft unter umgekehrter Rollenverteilung, sie heißt "Max Herre", nach Max' Solodebüt, seine erste Platte seit fünf Jahren. Meine Rolle, sagt Joy, die seit März 2003 auch Max' Ehefrau ist: "Ihm den Rücken freihalten, ihm jede Zeit geben, die er braucht. Er hat mir zwei Söhne geschenkt. Jetzt ist er dran."

Zuletzt, wenn Joy diese Sätze spricht, kurz bevor sie das Kindermädchen ablöst, wird klar: Joy lebt ihr Leben wie den Soul, sie schämt sich nicht für Gefühle, mögen sie noch so kitschig klingen, wenn man sie in Worte fasst. Joy weiß, wie moderne Arbeitsteilung funktioniert in einer Partnerschaft, die auf der romantischen Gewissheit begründet ist, den richtigen Menschen getroffen zu haben.

MAX HERRE, MUSIKER

Der erste Anruf, zum ersten Mal dieser Stimme lauschen, die schmeichelnd klingen kann und auch rau. Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Ihre Handy-Nummer hatte er sich von ihrem Produzenten besorgt. "Hier ist Max", sagte er, "ich habe da so 'ne Band, und ich möchte mit dir ein Lied aufnehmen." Er hatte nichts voraussetzen wollen, es war ihm egal, ob sie von ihm gehört hatte oder von seiner Musik.

"Spiel mir den Song vor", sagte Joy, "dann sehen wir weiter." Kein Versprechen, keine Unterwürfigkeit. Sie imponierte ihm. Joy in die Augen zu schauen bei ihrem ersten Treffen, nachdem er im Halteverbot geparkt hatte und auf sie zugestürmt war, als kenne er sie ewig, traute Max sich nicht.

An einem der nächsten Abende schleppte er Joy ins Studio, es war ein Vorwand: Ein Demo aufzunehmen wäre nicht nötig gewesen, doch Max wollte Joy unbedingt wieder sehen. Er fand, sie sei "eine tolle Erscheinung, überwältigend, einfach: wow!".

Bis zum Morgen sangen sie sein Duett: "Ich will nichts tun, was ich später mal bereu'n werd, doch heute Nacht brauch ich bisschen mehr als Freundschaft ...". Der Tontechniker ging irgendwann nach Hause. Für den ersten Kuss brauchten sie keine Technik, er überwältigte sie auch so.

Max beendete das Freundeskreis-Album "Esperanto", seine Sehnsucht wuchs, er fuhr zu Joy nach Berlin. Sie ließen sich knipsen im Passbildautomaten. Die Nächte verbrachte Max in einem schäbigen Hotelzimmer. Joy hatte darauf bestanden, ihr Ex-Freund lebte noch bei ihr in der Wohnung. Sie blieb trotzdem bis zum Morgen, Max hatte sich "nichts mehr gewünscht als das".

Wenn Max Herre, 31, seine Version der Geschichte von Joy und Max erzählt, dem modernen Ehepaar, das sich über Musik begegnet war, das bis heute Musik macht, gemeinsam und getrennt, zwei Kinder großzieht und das trotzdem die Liebe zueinander nicht unterwegs verloren hat - dann ist sie viel kürzer als bei Joy. Schön klingt sie dennoch.
Max möchte über seinen Job sprechen, im Hamburger Büro seiner Plattenfirma, wo er Journalisten sein Solodebüt vorstellt, vor der Tür warten schon die nächsten. Max mag seine Gefühle nicht in Worte fassen, über Privates und die Vergangenheit spricht er nicht gern mit der Presse - zu viele schlechte Erfahrungen. Meist schweigt Max und spielt mit seinem Ehering, der ihm an einer silbernen Kette bis auf die Brust hängt.

Während Joy heute als deutsche "Soul-Queen" gilt und mit Mary J. Blige und Lauryn Hill verglichen wird, bekam Max seinen Stempel schon früher weg. Weil sich in seinen Songs Intifada auf Army-Parka reimte, weil er HipHop als Subkultur versteht, die nicht zu lösen ist aus ihrem Kontext, galt er schnell, sagt Max, als "verkopft, verkrampft, politisch korrekt". Für die Presse war er der singende Sozialkundler und Freundeskreis der "rappende Juso-Info-Stand".

Seit damals versteht Max keinen Spaß, wenn es um seinen Anspruch geht: Bei "Jesus von Benztown", einer Schublade, die "Bravo" für ihn aufzerrte wegen seiner Locken und dem Bart, platzte Max der Kragen. Er will kein Guru sein, er ist nicht gläubig - gegen Gotteslästerung aber hat er etwas.

Max stammt aus einem Elternhaus, in dem Politik kein Tabu ist - auch nicht in der Musik. Er wuchs auf mit den Liedern des chilenischen Volkssängers Victor Jara, den Pinochet ermorden ließ. Seinen ersten Song schrieb er über Ausländerfeindlichkeit, es war die Zeit von Rostock-Lichtenhagen und dem Krieg in Jugoslawien, Max noch Schüler. Früh wusste Max: Er gehört nicht zur Spaßrap-Fraktion, er macht "Weltmusik für Weltbürger" - aus und über "Stuggi", seiner Heimatstadt.

1992 gründete Max die so genannte Kolchose, ein Aktionsbündnis von Stuttgarter HipHoppern, fünf Jahre später erschien das erste Freundeskreis-Album "Quadratur des Kreises", ein viel beachteter Einstand. Die Hitsingle "Anna" verkaufte sich 250000-mal, das zweite Album "Esperanto" bekam Gold. Nach einem Live-Album mit den FK Allstars im Jahr 2000 entschied Max, ab sofort nicht mehr stattzufinden. Sendepause - keine Auftritte mehr, keine Interviews, fünf Jahre lang. "Das Ding um Freundeskreis war zu groß geworden", sagt Max und spielt mit seinem Ring an der Kette. "Alles drehte sich nur noch um mich, Glücklichsein geht anders."

Max' Weg zu Joy war ein Weg zu sich selbst, ihre Spurensuche auch musikalisch eine Herausforderung. Joy steckte ihr Gefühl in "Mamani", er sein konzeptionelles Talent und auch sonst jede Menge Max: "Joy singt Deutsch", sagt er, "und trotzdem hat sie etwas, das anders ist - so begreifen die Leute, wie bereichernd Kultur sein kann."
Dass Joy eine Künstlerin ist, die auch etwas hat, "das viel größer werden kann als Max und Freundeskreis, sogar international", weiß Max, und er sagt es mit Stolz. Bei Denalane-Herre gibt es keinen Ehevertrag, nur eine Überzeugung: Beide wuchsen mit Eltern auf, deren Ehen ewig gehalten haben. Beide wollen mit Kindern leben, und keiner von beiden "soll denken, er würde etwas opfern". Das Rezept, sagt Max, sei simpel: Streitereien müssen sein "wie vorüberziehende Gewitter", niemals würde er wegen Stress seine Liebe in Frage stellen. Und: Die Arbeit des Partners muss genauso wichtig ein, wie die eigene: "Wenn Joy in den USA ein Konzert hat, erscheint meine Platte eben einen Monat später."

Gemäß ihres geheimen Plans gibt es kein: erst er, dann sie, dann wieder er - trotzdem ist Max jetzt an der Reihe. Auf "Max Herre" ist er der trotzige Wiederkehrer, singt: "Hol mir mein' Rap zurück, hol mir mein' Fame zurück" und "Ich schreib fünf Jahre nichts, und mich hat keiner geburnt". Der Sound seiner Single "Zu elektrisch" klingt rockiger, ein bisschen wie Lenny Kravitz und Prince. Seine Texte wirken abgeklärter, ironischer. Er singt jetzt von Berlin-Hipstern und Ich-AG, über seine verflossene Liebe "Anna '04" und den Alltag zwischen Kindergarten und Feilen am Lebenswerk.

Ob Max in Zukunft solo weitermacht, ob er Joy produziert oder die erste gemeinsame Platte - Max weiß es noch nicht. Ab Herbst ist er erst mal wieder auf Tour: Auf der Bühne stehen, live und vor wahren Fans, ist ihm immer noch das Liebste.

So wie neulich, da wollten Joy und Max ihr Duett wieder auf der Bühne singen. Verlegen schauten sie sich an und lachten. Nach all den Jahren hatten sie den Text vergessen. Das Publikum sang weiter, es kennt "Mit Dir" auswendig. Joy und Max finden, das sei ein gutes Zeichen. [DER SPIEGEL]

Kommentare: 4 Kommentare

on Wednesday, September 8th, flo said

du, lu, das ist höchst beneidenswert. ist eigentlich mein lebensziel, sowas. wer könnte schon mehr wollen?

du, yvonne, ich hab auch so einen besonderen bezug zu "mit dir". und noch was haben wir gemeinsam: auch ich bin damals anscheinend irgendwo falsch abgebogen. schön dass es sowas wie "selective memory" gibt - die ganzen hässlichen details verblassen, und dieses mmmh!-gefühl bleibt übrig...

on Wednesday, September 8th, Lu said

ich habe das gleiche, nur heißt meiner nicht max.
( der übrigens der einzige "öffentliche" mann ist, den ich wirklich wirklich toll finde. )

on Tuesday, September 7th, yvonnesonne said

schön an die zeit zu denken. bevor ich ungeduldig geworden bin und es dadurch ruiniert habe. eigentlich

on Tuesday, September 7th, yvonnesonne said

oh, jetzt rinnen mir tränen über die wange. mann bin ich sentimental. es war 1999 und ich war so verliebt wie joy. auch ich hatte ihn nur einmal gesehen und irgendetwas gewusst. wie sonst noch nie und nachher nie wieder. wir schrieben uns email, tanzten und lachten auch manchmal. dann fuhr ich ihn besuchen, er arbeite weit weg für den sommer. wir gingen auf eine party. dann kam "mit dir" ich hörte es zum ersten mal und war wie erkannt. es passte als hätten sie es für uns geschrieben. ich redete mit anderen leuten und über die menge hinweg sahen wir uns an. aber ich bin nicht zu ihm gegangen. durch meine feigheit hab ich es vermasselt. oh herrje, was für ein rücksturz. danke, es ist nämlich auch schön.

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