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06/12/2004: "ich mag vögel ja auch - aber doch nicht so!"


Die Feldmaus | erhielt in ihrer armen Höhle einst | von ihrer alten guten Freundin, | der Stadtmaus, unverhofft die Ehre ihres | Besuches. Wie genau nun jene sonst | zu leben pflegte, und wie sparsam sie | den sau'r errungnen Vorrat sonst zu Rate hielt, | so wurde doch für einen Gast das Herz | ihr weiter; kurz, sie schonet diesmal weder | der immer aufgesparten Erbse, noch | des langen Haferkorns, trägt ein Stückchen | halb abgenagten Specks und eine dürre | Zibeb im Munde noch herbei, und lässt, | mit einem Worte, sich's recht angelegen sein, | durch der Gerichte Mannigfaltigkeit | den ekeln Gaum des Städters zu verführen, | der vornehm da saß, und mit stolzem Zahn | eins nach dem andern kaum berührte; während | der gute Hauswirt selbst, auf heurig Stroh | gestreckt, mit Spelt und Trespe sich behalf, | und alles Bessre seinem Gaste ließ. | Zuletzt begann die Stadtmaus: Freund, wo nimmst | du die Geduld her, in dem rauhen Berge da, | dein Leben hinzubringen? Hättest du nicht Lust, | den Aufenthalt bei Menschen in der Stadt | dem Walde vorzuziehen? Weißt du was? | Komm du mit mir: und weil nun einmal bei | den Erdekindern mit dem Leben alles |vorbei ist, und dem Tode weder Klein | noch Groß entrinnen kann; so sei du weise | und lass, solange du es haben kannst, | dir wohl geschehn, mein Schatz! Bedenke nur, | wie kurz das Leben ist! - Die Landmaus wird | gerührt durch diese Rede, springt behende | aus ihrem Loch hervor, und beide treten | den Weg zur Hauptstadt an, des Sinnes, unter | der Mauer sich bei Nacht hineinzuschleichen. | Es war schon Mitternacht, als unsre Wandrer |in eines reichen Hauses Speisesaal | sich einquartierten, wo, auf Lagerstellen | von Elfenbeine, Purpurdecken glühten, | und eines großen Gastmahls Überbleibsel | ringsum in Körben aufgeschichtet standen. | Sobald der Städter hier den bäurschen Gast | auf Purpur hingelagert, läuft er rüstig, | gleich einem aufgeschürzten Wirte, hin und her, | und trägt ein niedliches Gerichte nach | dem andern auf; vergisst jedoch sich selber nicht | dabei, indem er alles, was er bringt, | naschhaften Dienern gleich, zuvor beleckt. | Die Feldmaus, ganz entzückt von ihrem neuen Glück, | dehnt fein gemächlich auf dem weichen Sitze | sich aus, und lässt sich trefflich alles schmecken; | als plötzlich ein gewaltiges Geknarr | der Flügeltüren unsre beiden Schlemmer | von ihren Polstern wirft. Sie rennen zitternd | im ganzen Saal herum, und ihre Furcht | wird Todesangst, indem durchs hohe Haus | der großen Hunde Bellen widerhallt. | Ich danke für dies Leben, sprach mit schwacher Stimme | der Bau'r zu seinem Freunde: fahre wohl! | Ich lobe mir mein kleines Loch im Walde! Da hab ich nichts zu fürchten wenigstens, und kann, wiewohl's nur magre Bissen gibt, | mich doch in Ruh an meinen Wicken laben.

Horaz, sat. 2,6, C.M. Wieland

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